Die Antwort auf diese Frage wird offenkundig, wenn wir uns zunächst mit dem „göttlichen Willenund dessen Unterteilung in den die Schöpfung und den die Schari´ah betreffenden Willen“ befassen. Das heißt also, es gibt zwei Willensformen: Die eine betrifft den Willen im Zusammenhang mit der Schöpfung und die andere den Willen im Zusammenhang mit der Schari´ah.
a) Die Schöpfung betreffender Wille: Hierbei geht es um das absolute Wissen Gottes über die gesamte Seins-Ordnung. Das heißt, das absolute göttliche Wissen ist die Basis für die Erschaffung des Universums mit all seinen Details und und Zusammenhängen und als göttlicher Schöpfungswille zu interpretieren.
b) Die Schari´ah betreffender Wille: Er betrifft das göttliche Wissen über das, was gut, richtig und sinnvoll ist und somit, welches Tun und Lassen (desMenschen) gut und zu seinem Wohle ist.Dieses Wissen, das die Grundlage für die dem Menschen von Gott aufgetragenen Aufgaben ist, bezeichnen wir als den, die Schari´ah(Religionsgesetz, göttliche Weisungen und Gebote) betreffenden göttlichen Willen.
Kriterium für Gehorsam und Ungehorsam, gottwohlgefälliges oder aber sündiges Tun des Menschen, also all das, was er willentlich tut, ist der göttliche Taschri´i-Wille. Das heißt das, was Gott gebot oder aber untersagte (Schari´ah) ist ausschlaggebend dafür, ob das Tun des Menschen als gut oder aber sündig zu werten ist. Nicht aber der Schöpferwille Gottes.
Alles Tun und Lassen des Menschen, das seinem Willen und seiner Entscheidung unterliegt, fällt in den Bereich des göttlichen Schöpfungs-Willen. Ob es aber die göttliche Anerkennung findet oder nicht, ist davon abhängig, ob es gottwohlgefällig ist oder aber Gott missfällt, das heißt, Maßstab dafür ist der Taschri´i-Wille Gottes.Das heißt, das dem Willen und Wollen des Menschen unterliegende Tun wird unterteilt in gottwohlgefälligesund Gott missfallendes. Gottwohlgefälliges entspricht dem göttlichen Taschri´i-Willen, das Gott missfallende menschliche Tun dahingegen widerspricht diesem. Aber beide Formen des menschlichen Tuns betreffen aufgrund dessen, dass sie willentlich durch den Menschen geschehen, den göttlichen Schöpfungs-Willen. Das heißt, das ungute und nicht akzeptierte Tun des Menschen erfolgt zwar aufgrund seines eigenen Willens und Wollens, fällt jedoch indirekt in den Bereich des die Schöpfung betreffenden göttlichen Willens, wenngleich es dem die Schari´ah betreffenden Willen Gottes zuwiderläuft.
Gemäß dem allgemeinen Gesetz der Schöpfungs- und Seins-Ordnung ist der eigentliche und absolut selbstständig Wirkende nur Gott. Niemand sonst. Und wenngleich auch anderes in der Kreatur etwas bewirkt oder hervorbringt, so nur mit dem Willen und der Erlaubnis Gottes. „و ما تشاؤن الاّ ان یشاء الله“ Mit anderen Worten: „Ihr wollt nichts, es sei denn, Gott wollte es.“Und nicht nur die Hintergründe und Ursachen eines Tuns, sondern auch das Tun selber gehören dem Umfeld des göttlichen Schöpfungswillens an.
Hier stellt sich die Frage: Wenn dem so ist, bedeutet das, dass der über allem liegende göttliche Wille auch hässliches und übles Tun einbezieht? Das heißt, dass Gott damit einverstanden ist und es erlaubt?Obwohl doch der Wille zu Schlechtem und Hässlichen selbst schon verwerflich ist und das göttliche Wesen von all diesem absolut rein und frei und dessen weit erhaben ist.
Zur Beantwortung dieser Frage ist folgender Hinweis vorauszuschicken, der die Unterscheidung des die Schöpfung betreffenden Willens von dem Taschri´i-Willen Gottes anbelangt:
Allerdings, die theoretisch-weltanschauliche Wissenschaft kennt prinzipiell nur einen Willen, nur eine Willensform, nämlich den Schöpfungswillen. Die andere Art des Willens, also der Taschri´i-Wille, wird im Rahmen der Gesetzgebung und religionsrechtlich (bzw. ideologisch) gesehen erörtert.[1]
Mit dem die Schöpfung betreffenden Willen geht das absolute Wissen über die gesamte Welten- bzw. Seins-Ordnung einher. Das heißt, das absolute Wissen Gottes über die Schöpfungsordnung ist die Grundlage für Seine Erschaffung der Welt der Schöpfung und wird als Wille Gottes interpretiert. Mit anderen Worten: Wissen und Wille mögen für uns zwei separate Begriffe mit unterschiedlichen Bedeutungen sein, doch was das unbedingte und absolute Wesen des Erhabenen Gottes anbelangt, ist es nur eine einzige Wahrheit. Der Wille zur Erschaffung des Universums ist gleichbedeutend mit Wissen über die Schöpfungs- bzw. Weltenordnung.
Und was den göttlichen Taschri´i- Willen betrifft, dieses: Das Wissen Gottes über das, was gut und sinnvoll und jenes, das unheilvoll und zu meiden ist, also sein Wissen über das, was der Kreatur zum Wohle gereicht, ist Grundlage und Ausgangspunkt zu Seinem, die Taschri´i- Willen, den wir im hiesigen Sprachgebrauch als „Eraadeh e taschri´i“ bezeichnen. Das heißt: Das, was den von Gott gegebenen Aufgaben und Weisungen zugrundeliegt, ist Sein Wissen über das, was wohl und sinnvoll ist. Mit anderen Worten: Im göttlichenTaschri´i-Willen wurzeln die Aufgaben und Pflichten, die uns aufgetragen sind. So muss es sein und so ist es.
Gegen den göttlichen Schöpfungswillen zu verstoßen, ist nicht möglich. Wohl aber kann dem Taschri´i–Willen Gottes zuwidergehandelt werden. Um es verständlicher zu machen: Gott verpflichtet, aufgrund Seines Wissen über das, was dem Menschen zum Wohle gereicht, zum Gebet, was dieser jedoch – angenommen -nicht tut. Seine ihm gegebene Aufgabe nicht zu erfüllen, ist ihm möglich, da ihr der göttliche Taschri´i-Willen zugrundeliegt.[2]
Angesichts des eben Gesagten und im Einklang mit Logik und Koran können wir so antworten:Mögliches gehört – wann und wo auch immer – mit zur Schöpfung. Wie es im Koran heißt: „الله خالق کل شىء“, das heißt, „Gott ist der Schöpfer von allem.“[3] Und das, was Gott erschaffen hat, ist gut. „الذى احسن کل شىء خلقه“,[4]was übersetzt besagt: „(Gott), der alles, was Er erschuf, vollkommen erschuf.“
Hinsichtlich ihres Vorhandenseins besteht zwischen gutem und schlechtem Tun besteht kein Unterschied. Ob fremdes Eigentum mit der Erlaubnis dessen Eigentümers in Besitz genommen wird oder aber ob es geraubt wird, ist im Hinblick auf Realität und Vorhandensein des Tuns gleich. Die Realität legaler Beziehungen zwischen Mann und Frau ist ebenso Realität wie die illegaler Beziehungen zwischen ihnen. Das heißt, Realität und Vorhandensein beider Beziehungsformen sind einander gleich. Wohl aber ist es so, dass besagten Beziehungen das Wollen der betreffenden Handelnden zugrunde liegt, dieweil Realität und Vorhandensein beider Beziehungsformen in den Bereich des göttlichen Schöpfungswillens fallen und zur Schöpfung gehören.
Das Gute oder Schlechte des menschlichen und willentlich erfolgenden Tuns ergibt sich aus der Übereinstimmung oder aber der Nicht-Übereinstimmung mit den Geboten oder aber Verboten der Schari´ah, wobei Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung das göttliche Wohlgefallen oder aber andererseits das göttliche Missfallen bedeuten. Doch der die Schöpfung betreffende Wille Gottes ist keinesfalls Kriterium für das göttliche Wohlgefallen oder Missfallen.[5]
Gehorsam oder Ungehorsam Gott gegenüber, gottwohlgefälliges oder aber sündiges Tun sind Bedeutungen, die bei einer Gegenüberstellung des dem menschlichen Willen unterworfenen Tuns mit den göttlichen Geboten und Verbotenoffenkundig werden, nicht aber durch einen Vergleich mit dem göttlichen Schöpfungswillen. Der Schöpfungswille Gottes, Sein absolutes Wissen und Seine Allmachterstrecken sich auf sämtliches Tun des Menschen, doch ob dieses anerkannt wird oder nicht, ob es das göttliche Wohlgefallen oder aber Missfallen auf sich zieht, nun, das betrifft den Taschri´i-Willen Gottes.
Aus einem Hadies erfahren wir folgendes Gotteswort:
„یا بن آدم انا اولى بحسناتک منک و أنت اولى بسّیئاتک منى“
Betrachten wir diese Worte ein wenig genauer, wird uns klar, dass der Erhabene Gott Gutes-Tun sowohl sich selber zuordnet als auch auf dem Menschen, doch Er erklärt: „Bei dem Guten, das du tust, ist meine Rolle gewichtiger.Doch was deine schlechten Werke anbelangt, ist deine Rolle gewichtiger.“
An dieser Stelle möchte ich, um es verständlicher zu machen, auf ein Beispiel, dase ich in den Abhandlungen einiger Wissenschaftler las, hinweisen:
Die Wand, die von der Sonne beschienen wird, wird dadurch hell und vermag aufgrund des Beschienen-Werdens durch die Sonne Schatten zu geben. Wer die Wand sieht und auf die Sonne, die die Wand bescheint, nicht achtet oder nicht daran denkt, meint, die Wand selber sei so hellscheinend. Doch der, der von der Sonne und ihrer Ausstrahlung weiß, ist sich dessen bewusst, dass die Helligkeit der Wand von der Sonnenbestrahlung herrührt. Wenngleich es die Wand ist, die nun tatsächlich hell und licht ist, und das dem so ist, steht außer Zweifel, ist offenkundig und unbestreitbar. Dennoch aber stammt die Helligkeit von der Sonne. Ebenso hat unser Stehen und Sitzen mit uns selber zu tun und ist von uns abhängig. Doch die Kraft und Fähigkeit dazu erhalten wir von Gott. Und genauso ist es mit unserem Lachen und Weinen. Wir weinen und lachen, doch Gott ist es, der die Möglichkeit, lachen und weinen zu können, hervorgerufen hat und uns mit der Fähigkeit dazu versah. „انه هو اضحک و ابکى“ Das heißt, Urheber oder Schöpfer von Lachen und Weinen ist Gott, wenngleich Sayd oder ´Amr es sind, die lachen oder weinen…
Wir sehen, dass die Wand Schatten wirft, und jeder weiß, dass dieser Schatten mittels der Wand existiert, denn der Schatten selber hat keine eigenständige Existenz. Und in der Weise, wie die Sonne die Helligkeit der Wand verursacht und hervorruft, lässt sie den Schatten der Wand nicht entstehen. Dennoch, wenn sie die Wand nicht bescheinen würde, könnte diese auch keinen Schatten geben und gäbe es den Wandschatten nicht. Das heißt, auch wenn die Sonne den Wandschatten nicht selber hervorruft, ist sie es im Grunde doch, die der Wand Helligkeit und Licht gibt.Was besagt, dass das Vorhandensein des Schattens mit dem Licht der Sonne zu tun hat. Mit anderen Worten: Die Wand ist nicht von selber hell, sondern ihre Helligkeit erhält sie durch anderes, durch die Sonne. Und auch gibt die Wand nicht von selber, aus sich heraus, Schatten, wenngleich sie es ist, die den Schatten wirft. Somit: Die Quelle für Helligkeit und Schatten der Wand ist die Sonne, und ohne sie kann es keinen Wandschatten geben, wenngleich die Wand es ist, die ihn gibt.
Wisse, dass das Licht der Sonne das Beispiel ist für das Gute, der Schatten der Wand aber das Beispiel für Ungutes, Sündiges.“
Die Sonne sagt zur Wand: „Wenngleich du hell bist, so ist meine Rolle für deine Helligkeit doch gewichtiger..
Und auch sagt sie zu ihr: „Wenngleich dein Schatten durch mich möglich wird, so ist deine Rolle dabei doch gewichtiger.
Auch dies spricht die Sonne zur Wand: „Alles Licht, dass dich erreicht, kommt von der Sonne, und jeder Schatten, der hinter dir erscheint, ist von dir selber.“
Weitere Informationen hierzu in:
Hassan HassansaadehAamoli, „Khairolassar dar raddschabrwaqadar“
Dscha´farSsobhaani, „Al hayaatala l hodaa l ketaabwa s ssenahwa l ´aql“, B. 2
Mohammad TaqiDscha´fari, „Tafssirwanaqd e tahlil e MasnawiDschalaaleddin e Mohammad Balkhi, B. 1
Ahmad Waa´esi, „Enssaan als didgaah e Islam“, Daftar e hamkaari e househwadaaneschgaah“
Ruh ullaahMussawiel Khomeini, „Talab waeraadeh“, übersetzt und kommentiert, Sseyyed Ahmad Fahri
Ssadroddin e MolaaSsadraaSchiraasi, „Ressaaleh e dschabrwaekhtiaarkhalqol ´amaal“
[1]´Ali RabbaaniGolpaaygaani, „Dschabrwaekhtiaar“, Mo´assesseh e tahqiqaati e SseyyedolSchohadaa, Qom, erste Auflage, 1368, S. 84
[2] Imam Khomeini, „Talab waerdaadeh“, übers. und kommentiert: Sseyyed Ahmad Fahri, Enteschaaraat e ´elmiwafarhangi, S. 52
[3] Sure 39, 62
[4] Sure 32, 7
[5]´AlaamehTabaatabaa´i, „Tafssir al Misaan“, Mo´assessatolA´lamiolmatbu´aat, „arab, 4“,Beirut, Libanon, 1393, 3. Auflage, B. 1, S. 101